JOHANNA: FELICITAS HOPPE



FELICITAS HOPPE: JOHANNA. ROMAN. S. FISCHER VERLAG, FRANKFURT A. M. 2006. ISBN: 978-3-596-16743-2. 171 S. 7,95 €

VIVEK KUMAR

https://www.fischerverlage.de/buch/felicitas_hoppe_johanna/9783100324504

Johanna ist ein kurzer Campus-Roman mit einem intensiv poetischen Stil. Die Erzählung schlägt Parallelen zwischen dem Leben von Johanna von Orléans (um 1412-1431) und der anonymen Erzählerin, einer jungen Frau an einer deutschen Universität, die eine Doktorarbeit über die Geschichte des Mittelalters schreibt. Sie ist eine Expertin für Karrenritter. Es gibt einen Vergleich zwischen dem Prozess gegen Johanna von Orléans durch die Kirchenbehörden in Paris und der mündlichen Prüfung der Ich-Erzählerin durch einen Professor und seine Assistenten durch die Universität: In beiden Fällen ist die Frau patriarchalen Diskursen ausgesetzt und von Männern dominiert Institutionen, die versuchen, sie zu verurteilen. Die Erzählerin weigert sich jedoch, ihre Unterordnung zu akzeptieren, und entwickelt einen eigenen Diskurs, der eine Kritik der Geschichte als Disziplin, eine Kritik des Universitätssystems als Institution beinhaltet.

Johanna denkt auch über Heiligsprechungs- und Legitimationsprozesse nach: Wir werden daran erinnert, dass die historische Johanna von Orléans erst 1920 von der katholischen Kirche heiliggesprochen wurde, fast fünfhundert Jahre nachdem sie wegen Ketzerin verbrannt geworden war. Gleichzeitig ist Johanna von Orléans seit Jahrhunderten eine Ikone des weiblichen Heroismus (und des französischen Nationalismus). Der Roman enthält eine Meditation darüber, wie und warum eine Person zu einer legendären (oder kanonischen) Figur wird, in der darauf hingewiesen wird, dass Menschen Geschichte schreiben können, indem sie Geschichten erzählen. Worauf kommt es in der Geschichte an? Nicht darauf, dass man Geschichten erzählt, sondern, wie man Geschichte macht, wenn man erzählt (S. 47). Immerhin war die historische Johanna von Orléans ein politischer Führer und kein Fußsoldat; Sie gewann Schlachten wegen ihres inspirierten Sprachgebrauchs, nicht wegen ihres Schwertkampfs. „Erkenne den König“ ist hier ein Schlüsselbegriff, denn Johanna von Orléans erkannte König Karl VII. Vom Sehen, ohne ihn jemals zuvor getroffen zu haben und lange bevor er tatsächlich gekrönt wurde. Wohl war es Joans Akt, ihn zum "König" zu erklären, was schließlich 1429 zu seiner Krönung in Reims führte.

Der Roman ist in sieben Kapitel unterteilt, deren Überschriften die darin verwendeten Motive schlagwortartig auf den Punkt bringen: ,,Mützen’‘ ,,Stimmen‘‘ ,,Wunder‘‘ ,,Prufungen‘‘ ,,Zeugen‘‘ ,,Leitern‘‘ und ,,Himmel‘‘. Der Roman spielt im Monat Mai in der nicht näher bezeichneten Gegenwart und er schildert, wie sich die unbenannte Erzählerin auf ihre Doktoratsprufung vorbereitet. Ein bereits promovierter Kollege Peitsche, hilft ihr und die beiden verlieben sich offenbar ineinander, auch wenn dies nicht ausdrücklich gesagt wird. Die Prufung in der Mitte des Romans wird unterbrochen, der Professor vorzeitig aus dem Raum gerufen. Anschließend fährt die Erzählerin und Protagonistin mit dem Zug nach Rouen, dort trifft sie nicht nur den Professor, sondern auch die historischen Gestalten aus Johannas Vergangenheit. Nicht zufällig ist der Monat Mai als Zeitpunkt der Handlung gewählt, denn Johannas letzter Lebensmonat, ihr Scheitern und das Scheiten der Protagonistin werden auf diese Weise ineinandergeblendet. Die Erzählerin verbringt Johannas Todestag Hinrichtung. Nach einem Bad in der Seine versöhnt sie sich mit ihrem Kollegen Peitsche und es wird angedeutet, dass für eine Beziehung der beiden Hoffnung besteht. Der Schluss fügt sich zum Namen Johannas, der aus dem Hebräischen stammt.

Die Ich-Erzählerin spricht die Leser im ersten Kapitel direkt an, das mit der Anrede beginnt: »Damen und Herren, was bleibt, ist ein Rätsel. So wird schon einleitend auf die Rätselstruktur des Romans hingewiesen. Auf die historischen Ereignisse wird immer wieder angespielt, aber der Roman lässt von vomherein keinen Zweifel daran, dass ein Versuch der Rekonstruktion zum Scheitern verurteilt ist. Schon die Umwelt, in der die Figuren agieren, ist für die Figuren selbst kaum zu durchschauen. Davon lassen sie sich allerdings nicht beirren. Schon im Prolog verfremdet Hoppe die historischen Fakten und zeigt mit Formulierungen, wie achtig oder achthundert englische Soldaten ihren Karren flankierten, dass es weder möglich ist noch sinnvoll erscheint, irgendetwas an diesen historischen Ereignissen rekonstruieren zu wollen.

Die Klammer zwischen Vergangenheit und Gegenwart lässt sich dennoch mit dem Begriff des Glaubens bezeichnen. Und allem voran, auf den rechten Glauben. Ohne Glaube ist ja kein Spiel zu gewinnen. Glaube. Na gut. Nur, an wen? Und an was? Die Antwort ist einfach. Wir glauben an das, was wir anfassen können(S.64). Die Ich-Erzählerin bezeichnet Peitsche trotz aller Unterschiede als Vorbild und stellt fest: ,,Ich bin längst verliebt, zwar ohne Titel’‘(S.11). Zum Konzept gehört auch, dass sich die Beziehung der beiden kaum entwickelt und so lautet der letzen Satz des Romans, ,,Und morgen, falls es das Wetter erlaubt, werden wir uns duzen‘‘(S.171).

Religion und Wussenschaft- Glaube und Aberglaube, zwei Zeichensysteme mit zahlreichen Mitspielern und offenem Ausgang, der sich allerdings durch Überzeugung beeinflussen lässt, ,,Auf die Kraft der Einbildung kommt es an’‘(S.69).

Auf diese Weise führt der Roman mit den Mitteln der Fiktion vor, dass auch die Gegenwart nur eine Konstruktion ist, die sich angesichts der unterschiedlichen subjektiven Perspektiven nur punktuell und vorläufigerschließt. Einen übergeordneten Sinn gibt es nicht. Obwohl sich der Roman durch eine außenordentliche Symboldichte auszeichnet, trägt keines der Symbole dazu bei. Irgendeine Form von Transzendenz zu etablieren. Hoppes Johanna mit ihrer Mischung aus Stimmen und historischem Material schlägt die Anziehungskraft der ursprünglichen Johanna vor, die sich, den Stimmen der Erzengel Michael, der Heiligen Katharina und Margarete folgend, von einem Dorf in Frankreich in die historische Vorstellung der Welt hineinredete. Es ist ein subtil religiös informierter Roman.


 

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