VOR DEM GESETZ VON FRANZ KAFKA

EINE REZENSION
- Vivek Kumar

Die Erzählung Vor dem Gesetz  von Franz Kafka, die im Jahr 1915 veröffentlicht wird, handelt von einem „Mann vom Lande“, der den Türhüter um Eintritt in das Gesetz bittet. Der Türhüter verwehrt ihm diesen Wunsch. Es wäre zwar möglich, aber der Türhüter sagt „jetzt nicht“. In der Hoffnung, letztendlich doch noch in das Gesetz zu gelangen, verweilt der Mann vom Lande sein gesamtes Leben vor dem Gesetzt. Eines Tages schließlich, nach jahrzehntelangen vergeblichen Eintrittsgesuchen, fragt der Mann vom Lande kurz vor seinem Tod, warum außer ihm niemand Eintritt verlangt hatte. Der Türhüter antwortet darauf: „Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“

Dies ist ein typisches Kafka-Werk, das in einer sehr neutralen, maßgeblichen Erzählform geschrieben ist. Man nennt diese Erzählung die Türhüterlegende. Die Beschreibungen der beiden einzigen Charaktere (ein Mann vom Lande und der Türhüter) beschränken sich auf ihr äußeres Verhalten und ihre Aussagen.  Das Seelenleben eines Mannes vom Lande kann aus seinen Handlungen erraten werden, aber es ist nirgendwo klar beschrieben. Das Innenleben des Türhüters ist für den Leser geschlossen. Der Text bewirkt, dass es sich nicht um eine bestimmte Person handelt, sondern um ein Symbol der Macht. Zur Erläuterung des Textes werden drei für Kafka einzigartige Interpretationsmethoden vorgeschlagen: Autobiographie, Religion und sozialpolitische Methoden. Jede dieser Methoden liefert nicht nur unterschiedliche Schlussfolgerungen zum Inhalt der Informationen, sondern beantwortet auch die Frage: „Um wen handelt es sich beim Türsteher/ beim Mann vom Lande/ beim Gesetz?“ unterschiedlich. Die grundlegende Absicht ist, daß es in allen Aspekten nach dem Sinn sucht.

Aus autobiografischer Sicht ist „Vor dem Gesetz“ eine für Kafka typische Aufarbeitung seines Ödipus-Komplexes. Der erhabene, mächtige und in gewisser Weise „um das Gesetz wissende“ Türhüter (Symbol für Kafkas autoritären Vater) entpuppt sich als eklatanter Gegner des Mannes vom Lande (Kafka selbst), der zunächst genauso schüchtern und respektvoll wie verzweifelt später in der Geschichte und wird krank gezeigt. Kafka versuchte sich von seiner Routine und Einsamkeit zu befreien, er wollte seinen langweiligen Job als Versicherungsanwalt aufgeben, wollte heiraten, eine Familie gründen, aber Kafkas Vater, der sich vor allem um die Karriere seines Sohnes kümmerte, erwies sich als entscheidendes Hindernis. Genau wie ein Mann vom Lande zum Gesetz wollte Kafka Zugang zum "tieferen Sinn" haben, wahrscheinlich zum Sinn des Lebens, aber einfach so hielt ihn die Autoritätsperson jahrelang ohne kausalen Zusammenhang, bis dieser einsam und verbittert, in Kafkas Worten sogar "kindisch", stirbt.

Die religiöse Interpretation des Textes erweist sich in der Rollenverteilung als etwas unklar. Das Subjekt (der Mann vom Lande), der symbolisch für "den suchenden Mensch" steht, sucht einen Einstieg des Gesetzes, das wahrscheinlich eine "göttliche Offenbarung" oder ein tieferes Erkentniss ist. Der Türhüter, vielleicht ein Jude oder ein Symbol für die gesamte organisierte Religion, lehnte den Eintritt in das mit der Begründung ab. Bis zu seinem Lebensende wartet der Mensch auf die Aufklärung seitens der Religion, aber dies geschieht nicht, hauptsächlich aufgrund der verspäteten Taktik religiöser Autoritätspersonen.

In diesem Ansatz steht der Mann vom Lande einfach für Jedermann, für jeden Staatsbürger, der Einsicht in das Gesetz verlangt, aber von der grassierenden Bürokratie (dem Türhüter) abgelehnt wird. In dem Roman Kafkas spielt sich die gesamte Handlung in Räumen ab, Wände, auch wenn sie nicht beschrieben sind, verengen das Blickfeld des Protagonisten und erzeugen ein Gefühl der Hilflosigkeit und des Gefangenseins. Die Türen sind der einzige Weg in die Freiheit, aber sie sind immer verschlossen und verursachen nur mehr Not, weil sie einen kleinen, sehnsüchtigen Blick auf das Unbekannte werfen, das sie verbergen müssen. Auch die Aussage des Türhüters „Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehn aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen.“ spielt auf die Motivik des „Prozesses“ an.

Das Justizsystem als Leitmotiv zahlreicher Texte ist typisch für Kafka und hat seinen Ursprung sowohl in seiner unpopulären Tätigkeit als Versicherungsanwalt als auch in Kafkas langjähriger Auseinandersetzung mit der Bürokratie der zerfallenden österreichisch-ungarischen Monarchie, die er als feindlich zum Leben empfand. Wie bei der religiösen Interpretation kann der Text als Kritik aufgefasst werden. Kafka kritisiert die Unzugänglichkeit, die unnötige Komplikation des Lebens und die starre Autoritätswahn in seinem Heimatland. Er will Einfachheit und Klarheit, aber er ist sich bewusst, dass diese Forderungen eine reine Utopie bleiben werden.

Fasst man die Interpretationsversuche zusammen, so gelangt man zu dem Schluss, dass "Vor dem Gesetz" eine Parabel ist, die vom typischen kafkaesken Motiv "Suchen und Nicht-Finden" durchdrungen ist, das letztendlich die "Sinn" nur in der Sinnlosigkeit zu finden scheint. Die Bedeutung des kryptischen Textes/ der Türhüterlegende selbst wird bewusst offen gehalten. Der Text darf nicht als reine Religions- und Gesellschaftskritik oder als rein autobiografische Aufarbeitung verstanden werden. Wenn Sie das Gleichnis in Kafkas Oeuvre legen, finden Sie fast alle Motive und Handlungsstränge, die später seine Romane charakterisieren werden. Der Text kann somit als ein für Kafka typisches Werk bezeichnet werden.




BIBLIOGRAPHIE:

1.      http://www.kafka.uni-bonn.de/

2.      https://www.grin.com/document/274561

3.      https://www.abipur.de/referate/stat/652330015.html

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5.      https://www.jstor.org/stable/44303385

6.      https://www.researchgate.net/publication/42637303

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